Quelle: RLS
Rosa-Luxemburg-Stiftung: A Planet to Win: Wege aus der Klimakrise
Wir leben in Zeiten extremer sozialer Verwerfungen und zunehmend irreparabler ökologischer Schäden. In unserem Seminar werden wir uns mit der globalen Klimakrise und Möglichkeiten ihrer Bewältigung beschäftigen. Dabei stehen zwei Stränge aktueller Debatten im Mittelpunkt: Diskussionen um einen Green New Deal, die ausgehend vom politischen Diskurs der USA mittlerweile auch in Europa Einzug erhalten haben, und geistes- und sozialwissenschaftliche Perspektiven auf Postwachstum und Degrowth.
Die Demokratien des Globalen Nordens befinden sich in einem Dilemma: einerseits sind ihre politischen und kulturellen Praxen nach wie vor grundsätzlich durch demokratische Teilhabe, Rechtsstaatlichkeit und den positiven Bezug auf Werte der Aufklärung geprägt, andererseits drohen autoritäre Staaten wie die Volksrepublik China und Russland ihnen wirtschaftlich und politisch den Rang abzulaufen. Die zunehmende Wettbewerbsfähigkeit von Volkswirtschaften, die sich demokratische Prozesse der Willensbildung und Entscheidungsfindung wortwörtlich sparen, ruft in Erinnerung, dass demokratische Prinzipien und volkswirtschaftliche Effizienz historisch nie widerspruchsfrei nebeneinander existiert haben. Sie funktionierten in den Kernstaaten des kapitalistischen Weltsystems nur auf Grundlage globaler Ungleichgewichte, transnationaler Abhängigkeit und kolonialer Gewalt und werden vor dem Hintergrund des Aufstiegs rechter Bewegungen auch im sogenannten „Westen“ seit einigen Jahren immer stärker ausgehöhlt.
Die gegenwärtige Weltwirtschaftsordnung verstetigt globale Ungleichgewichte, indem sie eine auf ungleichem Tausch basierende internationale Arbeitsteilung in verschiedenen Systemen politischer Kontrolle institutionalisiert. Der Energie- und Ressourcenhunger der entwickelten Industrie- und Technologienationen befeuert weltweit nicht nur Kriege, sondern ist auch Hauptverursacher des zerstörerischen Klimawandels, unter dem in erster Linie diejenigen leiden, die am wenigsten zu ihm beigetragen haben. Dabei wird die „Externalisierung“ der sozialen und ökologischen Kosten unseres Lebens in Regionen des Globalen Südens (Stephan Lessenich) in den Zentren der kapitalistischen Weltwirtschaft immer noch gerne geleugnet oder ignoriert. Dies nicht zuletzt, weil brennende Landstriche und die erzwungene Flucht Hunderttausender sowohl einem ruhigen Gewissen als auch dem politischen Selbstbild vieler Demokrat*innen entgegenstehen. Dennoch ist klar zu erkennen: Der Kapitalismus und die neoliberale Globalisierung haben verheerende Folgen und daran trägt Deutschland als eine ihrer Führungsmächte maßgeblich Verantwortung.
Vor diesem Hintergrund lassen sich die Klimakrise ebenso wie die in den vergangenen Jahrzehnten massiv verschärften sozialen Ungleichheiten nur angemessen bewältigen, wenn wir Demokratie neu denken. Sozial-ökologische Transformationskonzepte dürfen nicht ausschließlich bei umweltfreundlicheren Technologien, sondern müssen viel grundsätzlicher bei unserer Lebensweise und der Art, wie wir Güter und Macht (re-)produzieren und verteilen, ansetzen. Dies möchten wir in unserem Seminar gemeinsam mit euch diskutieren. Dazu werden wir uns mit dem Klimawandel und seinen globalen, aber auch sehr unmittelbaren Auswirkungen am Beispiel der Marshallinseln beschäftigen. Außerdem betrachten wir Diskussionen um einen möglichen Green New Deal und fragen nach der Eignung entsprechender Konzepte angesichts der aktuellen Herausforderungen. Darüber hinaus möchten wir Degrowth als Perspektive der Geistes- und Sozialwissenschaften kennenlernen und mit euch über Postwachstumsgesellschaften als mögliche Alternativen zum globalen Kapitalismus diskutieren
Weitere Informationen und Seminarleitung
Weitere Informationen:
Brand, Ulrich; Wissen, Markus: Imperiale Lebensweise. Zur Ausbeutung von Mensch und Natur in Zeiten des globalen Kapitalismus, München, 2017.
Lessenich, Stephan: Grenzen der Demokratie. Teilhabe als Verteilungsproblem, Ditzingen, 2019.
Pettifor, Ann: The Case for the Green New Deal, London/New York, 2019.
Schmelzer, Matthias; Vetter, Andrea: Degrowth/Postwachstum zur Einführung, Hamburg, 2019.
Seminarleitung
Ines Koburger bewegt sich seit 20 Jahren in verschiedenen politischen Strukturen und Bewegungen. Sie verknüpft politische Praxis und mit ihrer beruflichen Tätigkeit als politische Bildnerin. Sie sieht sich als Teil der Klimagerechtigkeitsbewegung, lebt mit in Berlin und begeistert sich für die strategischen Diskussionen über gesellschaftlichen Wandel und sozial-ökologische Transformation.
Marc Amann ist Diplompsychologe. Er arbeitet freiberuflich in der politischen Bildung mit Schwerpunkten Aktionsformen, Kampagnenarbeit, Bewegungsstrategien sowie Moderation und Gruppenprozesse. In der Klimagerechtigkeitsbewegung ist er seit 2008 engagiert. In Tübingen, wo er wohnt, ist er am Aufbau realutopischer, sozial-ökologischer Projekte beteiligt. www.marcamann.net